Was hat dazu geführt, dass die alte Regierung nicht wiedergewählt wurde?

Dies liegt in erster Linie an dem schlechten Ergebnis von „déi gréng“. Erreichte die Partei im Jahr 2018 noch 15,12 % der Stimmen und damit neun Sitze im Parlament, waren es diesmal nur noch 8,55 % der Stimmen sowie vier Sitze im Parlament. Mit einem derart hohen Verlust hatte niemand gerechnet, besonders da in allen von ILRES erstellten Prognosen mit einem Verlust von nur 2 bis 3 Sitzen gerechnet wurde.

Doch auch bei den anderen Parteien wichen die Prognosen des ILRES teilweise stark vom tatsächlichen Wahlergebnis ab.

So wurde beispielsweise in der letzten Prognose vom September 2023 folgendes Ergebnis vorhergesagt:

CSV – 28,3 % – 19 Sitze

LSAP – 19,8 % – 13 Sitze

DP – 17,4 % – 11 Sitze

ADR – 6,8 % – 3 Sitze

Piraten – 9,9 % – 5 Sitze

Déi Lénk – 5 % – 2 Sitze

Das Wahlergebnis lautete im Vergleich dazu wie folgt:

CSV – 29,21 % – 21 Sitze

LSAP – 18,91 % – 11 Sitze

DP – 18,70 % – 14 Sitze

ADR – 9,27 % – 5 Sitze

Piraten – 6,74 % – 3 Sitze

Déi Lénk – 3,93 % – 2 Sitze

Hier stellt sich die Frage, wie es zu solch großen Unterschieden kommen kann, insbesondere bei der Sitzverteilung, denn selbst wenn die Prognose der Stimmenanteile innerhalb der zulässigen Fehlerspanne liegt, ist dies bei der Sitzverteilung nicht mehr der Fall.

Unterschiede

CSV: + 2 Sitze

LSAP: – 2 Sitze

DP: + 3 Sitze

ADR: + 2 Sitze

Piraten: – 2 Sitze

Schwachstelle des luxemburgischen Wahlsystems

In Luxemburg werden seit 1989 die 60 Parlamentssitze in 4 Bezirke verteilt, die ungefähr nach Sitzen die Anzahl der Menschen in diesem Bezirk wiederspiegeln: 23 Sitze für den Bezirk Süden, 21 für den Bezirk Zentrum, 9 für den Norden und 7 für den Osten.

Die Verteilung der Sitze erfolgt nach dem sogenannten d’Hondt-Verfahren, welches ebenfalls noch in Bulgarien, Dänemark, Finnland, Island, Kroatien, der Schweiz, den Niederlanden und Portugal zum Einsatz kommt.

Aufgrund des verwendeten Verteilungssystems ist es möglich, dass noch Restsitze übrigbleiben.

Zur Ermittlung der Restsitze wird die Anzahl der Parteistimmen geteilt durch die Anzahl der bereits erhaltenen Sitze erhöht um 1. Die Partei, die hier das höchste Resultat erzielt, bekommt den ersten Restsitz. Dies geschieht so oft, bis alle Sitze verteilt sind.

Bei den diesjährigen Wahlen mussten insgesamt 14 Restsitze (fast ein Viertel aller Sitze) verteilt werden – 3 im Norden und Osten sowie jeweils 4 im Zentrum und im Süden. Diese Restsitze haben aber einen großen Impakt auf die Sitzverteilung im Parlament, denn Restsitze gehen selten an kleinere Parteien. Große Nutznießer dieser Restsitze waren die CSV und die DP, die jeweils 4 Restsitze ergattern konnten, die restlichen verteilten sich auf die LSAP (2 Sitze), ADR, „déi Lénk“, „déi gréng“ und Piraten mit jeweils einem Restsitz.

So kommt es zu der grotesken Situation, dass die LSAP, die nach Stimmanteilen als zweitstärkste Partei bei den Wahlen hervorging, schlussendlich nach Anzahl der Sitze nur die drittstärkste Kraft im Land ist.

Gäbe es in Luxemburg indes nur einen Wahlbezirk, sähe das Ergebnis wie folgt aus.

Wie man erkennen kann, hätte die CSV nur noch 18 Vertreter im Parlament und eine Zweierkoalition mit der DP wäre ebenfalls nicht möglich.

Hier drängt sich die Frage auf, warum es in Luxemburg immer noch vier Wahlbezirke gibt – auch wenn es sich um ein Großherzogtum handelt, wäre es an der Zeit, dies zu ändern. Letztlich ist Luxemburg nicht so groß und beinahe jeder kennt hier jeden.

Die größten Parteien des Landes, die CSV und die DP, werden dem aber mit Sicherheit nicht zustimmen, da sie Sitze verlieren könnten.

Analyse des Wahlergebnisses

Auch wenn die CSV sich als große Wahlsieger sieht, gilt es zu erwähnen, dass die CSV im Vergleich zu 2018 nur um 0,9 % zugelegt hat. Und zur Erinnerung: 2009 hatte die CSV 38,04 % der Stimmen erhalten. Doch auch die LSAP und die DP können sich nicht als Gewinner betrachten, da beide zu früheren Zeiten schon deutlich bessere Ergebnisse erzielt haben – LSAP 1984: 33,6 %; DP 1999: 22,35 %.

Das Abschneiden der ADR, die fast 10 % der Stimmen und 5 Sitze im Parlament erhielt, ist beunruhigend, da es auf einen Rechtsruck im Land hindeutet.

Aus Sicht der einzelnen Kandidaten sticht das Ergebnis des derzeitigen Ministers für den öffentlichen Dienst hervor, der es auf Anhieb nicht geschafft hat, in seinem Wahlkreis ins Parlament gewählt zu werden. Dasselbe gilt auch für die beiden Minister Henri Kox und Claude Turmes, die anders als ihr Kollege Marc Hansen jedoch nicht darauf hoffen können, nachzurücken, da die „déi gréng“ weder im Norden noch im Osten ein Mandat erlangt haben.

Ein schwarzer Tag war der Wahlabend auch für die Fraktionsvorsitzenden der DP, der LSAP und der „déi gréng“, da Josée Lorsché (déi gréng), Gilles Baum (DP) und Yves Cruchten (LSAP) den direkten Einzug ins Parlament nicht geschafft haben. Gilles Baum kann zumindest darauf hoffen, dass er im Falle einer Regierungsbeteiligung von seiner Partei im Osten nachrücken wird.

Ferner ist auffällig, dass trotz der Wahlpflicht in Luxemburg 36 771 Wähler nicht ins Wahllokal gegangen sind. Von 286 739 registrierten Wählern haben also 12,82 % einen Rechtsverstoß begangen. Wenn man die 7 889 leeren Stimmzettel und die 10 735 ungültigen Stimmzettel hinzurechnet, liegt das Endergebnis bei nur 80,68 % gültigen Stimmzetteln.

Zukünftige Regierung und neuer Koalitionsvertrag

Derzeit (Stand 12. Oktober) haben die CSV und die DP Gespräche zur Bildung einer Koalition aufgenommen. Die LSAP scheint auch ihre Rolle als Oppositionspartei bereits angenommen zu haben, denn diesen Eindruck vermittelt die Parteipräsidentin Francine Closener in einem Interview mit dem Tageblatt.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der neue Regierungschef Luc Frieden heißen, während Xavier Bettel als neuer Außenminister im Gespräch ist. Für den Landesverband werden vor allem die neuen Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten von Interesse sein.

Doch weitaus wichtiger ist, was letztlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben wird, in dem die Ziele und Ambitionen der beiden Parteien definiert werden. Die Wahlprogramme der beiden Parteien haben bereits angedeutet, dass sich die Standpunkte von CSV und DP in wichtigen Themen von den Forderungen des OGBL/Landesverband unterscheiden. Für den OGBL/Landesverband sind die wichtigsten Themen der Index, die Überarbeitung des Kollektivvertragsgesetzes, wo Luxemburg momentan der EU-Richtlinie 2022/2041 vom 19. Oktober 2022 nicht gerecht wird, die Erhöhung des Bruttomindestlohns, die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung, die Anpassung der Steuertabelle an die Inflation, die Reform der Steuertabelle, die Rentensicherung sowie eine Erhöhung der Mindestrente, die Krankenversicherung, die Lösung der Wohnungskrise und der Beschäftigungsschutz.

Als Landesverband fordern wir an dieser Stelle, dass die Investitionen in den öffentlichen Verkehr auch weiterhin hoch bleiben und dies insbesondere in die Eisenbahn, die das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs bildet.

Auch machen wir einen Aufruf an den zukünftigen Minister des öffentlichen Dienstes, den OGBL bei den nächsten Verhandlungen über das Gehaltsabkommen im öffentlichen Dienst mit an den Verhandlungstisch zu nehmen. Es darf nicht wieder dazu kommen, dass die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden, ohne OGBL und Landesverband welche beide zusammen die Mehrheit in mehreren Sektoren stellen, die vom Gehälterabkommen abhängen.  Insgesamt sind in der Tat mehr Personen (derzeit etwa 41.000) bei der Eisenbahn, im Gesundheits-, Pflege- und Sozialsektor, sowie als Arbeitnehmer beim Staat und bei den Gemeinden beschäftigt, als Staatsbeamte und –angestellte im Öffentlichen Dienst.

 

Josy Bourggraff

Generalsekretär